Zu Hilfe

Wann immer in Afrika hunderttausende Menschen an Hunger sterben, ist die Welt alarmiert. So war es auch Mitte der Achtziger Jahre in Äthiopien. Damals leiteten Benefiz-Konzerte die Spendengelder millionenfach in ein Tal des Todes, das heute wieder grünt. Dann ist doch alles gut, oder? – Die Feuilleton-Reportage

In der Nacht geht ein Guss auf das Tal nieder, stundenlang, als ob der Himmel mitteilen will, dass alles gut wird. Am Morgen hat der Mais sich weiter in die Höhe gereckt. Die Halme des Getreides Teff wiegen sich graugrün schillernd in einer Brise. Von den Blättern der Bananenbäume perlen letzte Regentropfen, und man glaubt, den Avocados und Mangos beim Wachsen zusehen zu können. Ochsen, Kühe, Schafe, Ziegen, Pferde saufen gierig aus Pfützen, Gräben, Kanälen. Kinder kacken ins Gebüsch, beschattet von Eukalyptusbäumen. Bauern seifen sich im Fluss ab, Bäuerinnen schrubben Kleider an seinen Ufersteinen. Esel eilen, Kamele schlendern erhaben vorbei; sie tragen Bündel von Schilfrohr und Holz. Baustoff für neue Hütten ist das, für neue Familien, für neues Leben. Als die Bibel geschrieben wurde, kann die Welt kaum anders gewesen sein, abgesehen von dem rußenden Laster, der vorbeifährt. Auf dem Heck steht: „God is the key“.

Das Antsokia-Tal in Äthiopien beginnt 320 Kilometer nördlich der Hauptstadt Addis Abeba. 1984 und 1985 war es ein Tal des Todes. Es sah hier so genauso aus, wie es heute in Somalia aussieht. So weit das Auge blickte, gleißte die rissige Erde fast weiß in praller Sonne. Die Welt schien aus nichts als fruchtlosem Staub gemacht. Jeder Baum war zu Brennholz geworden, alles Vieh geschlachtet oder verendet. Babys, die aufgetriebene Bäuche hatten, saugten an Brüsten, die aussahen wie vertrocknete Kartoffeln. Die Kinder verhungerten sogar noch, wenn sie es schon bis in die Notlager geschafft hatten.

Alle zwanzig Minuten starb ein Mensch. 500000 oder eine Million Hungertote gab es in den Provinzen des Nordens, man weiß es nicht einmal ungenau. Das kommunistische Regime Äthiopiens gab damals der Dürre die Schuld und lud Kamerateams aus dem Kapitalismus ins Land, das Elend zu filmen. Und die Welt sah diese Fliegen in den Augen der Kinder und wollte bedingungslos Hilfe leisten. Sie leistet sie bis heute.

Die Bilder aus Äthiopien von 1984, zuerst von einem Reporter der BBC hinausgeschickt, prägten für Millionen Heranwachsende in den Industrieländern das Bild von Afrika. Bob Geldof, der Mitte der achtziger Jahre ein Popstar war, erfand die Live-Aid-Konzerte. Der Hit zum Hunger hieß im Dezember 1984 „Do they know it‘s Christmas?“ Das brachte neunzig Millionen Pfund Spenden in einem Jahr.

World Vision kam gleich 1984 ins Tal. Es ist eine christlich motivierte Organisation, die ihren Ursprung in Amerika hat. Sie sucht in der Ersten Welt Paten für Kinder in der Dritten Welt. Ab dreißig Euro im Monat ist man von Deutschland aus dabei. Aber es geht dabei immer um eine ganze Region, nicht nur um ein Kind oder ein Dorf. Die Projekte werden von Einheimischen gemanagt. Sie achten darauf, alles mit den Behörden und den Lokalpolitikern abzustimmen. Sie passen sich sogar an die staatlichen Fünfjahrespläne an. Sie halten still, wenn die Regierung die Bedingungen für Hilfsorganisationen verschärft. Wie 2009. Da warf die Regierung
ausländische Vereine aus dem Land, die sich mit Demokratisierung und Menschenrechten befasst hatten – und damit, in welchen staatlichen Kanälen Spenden von Hilfsorganisationen verschwinden.

Die anderen durften bleiben und sind geblieben. Man kann das mutlos finden oder tapfer. Man begreift hier bald, dass unentwegte Hilfe von außen immer richtig und falsch zugleich sein kann.

Im Antsokia-Tal beweist World Vision ein Vierteljahrhundert nach der Katastrophe, dass man den Kreislauf des Hungers durchbrechen kann. Sie wissen, wie man das Leben zurückholt, wenn man sich nur Zeit nimmt und Mühe macht und nicht bei jeder politischen Volte davonläuft. So sehen sie das jedenfalls. Es ist eine Vorher-Nachher-Geschichte. Vorher alles kahl und tot, nachher alles grün und saftig, und in jedem Dorf ist Kinderlachen. Es geht um Geduld und immer um Geld.

Wir werden zu Mame Tilahun geführt. Sie lebt in einer strohgedeckten, winzigen Hütte aus Holz und Lehm. Sie hat keinen Strom, und zur nächsten asphaltierten Straße braucht sie fast zwei Stunden zu Fuß. Und doch ist hier das Glück zu Hause, äthiopisches Glück eben. Mame weiß nicht genau, wie alt sie ist, vielleicht Ende vierzig. Sie weiß aber, dass ihre erste Tochter 1984 nur ein halbes Jahr alt war, als sie mit ihr in letzter Not die Feeding Station erreicht hatte. Ihr Mann war ihr in der Nacht zuvor zu Hause verhungert, so wie schon ihre drei Brüder, der Vater, ein paar Onkel. Mame hat nach dem Hunger nicht wieder geheiratet, aber noch drei Kinder von anderen Männern bekommen, die jüngste Tochter ist zehn. Alle haben die Schule besucht, ein Mädchen bis zur zwölften Klasse. Statt zu studieren, hat die Tochter einen Kiosk in der Kleinstadt, zwanzig Kilometer von hier entfernt. Nun ja, sagt Mame.

Auf einem dreiviertel Hektar baut sie Bananen, Avocados und Mangos an und etwas weiter oben im Dorf Kaffee, Mais und Pfefferschoten. Sie erntet zweimal im Jahr, Obst bis zu dreimal. Mame sagt, bei jeder Mahlzeit, die sie isst, denkt sie an ihren Mann, der ja starb, weil er so einen vollen Teller nicht hatte. „Aber ich muss nie wieder Angst haben zu hungern“, sagt sie und wedelt mit ihren harten kleinen Händen gen Himmel, sie lacht. „Ich habe keine Albträume mehr! Dank Word Vision!“

Natürlich ist es eine Erlöser-Story. Aber keiner kann sagen, dass falsch ist, was hier vollbracht wird, dies kann nur richtig sein: eine Bäuerin, eine Überlebende, die ihre Kinder ernähren und in die Schule schicken kann, die sogar etwas auf dem Markt zu verkaufen hat. Die Spenden müssen auch fließen, wenn die Kamerateams wieder weg sind. Sonst gäbe es keine Mame. Das ist die Botschaft.

Ihr Stolz ist ein Wasseranschluss, nur zwanzig Meter von ihrer Hütte entfernt. Neben die Wasserhähne ist ihr Name in lateinischen Buchstaben in den Putz des Brunnens geritzt. Sie kann ihn nicht lesen, sie kann nicht einmal die Amtssprache Amharisch lesen. Sie weiß nur, World Vision hat ihr das Wasser gebracht und das Wissen um den Obst- und Gemüseanbau. Und damit ein Leben.

Sie werden immer mehr Menschen im Tal, mehr als 85000 schon. Die Geburtenrate liegt bei 4,8. Äthiopiens Einwohnerzahl wird sich bis 2050 auf 165 Millionen verdoppeln. Die Regierung empfiehlt, nicht mehr als vier Kinder pro Familie zu bekommen. Sie lässt kostenlos Verhütungsmittel verteilen. Aber weil über Jahrhunderte hinweg fast die Hälfte der Kinder gestorben ist, bevor sie fünf wurden, gebären die Frauen lieber ein paar mehr. Ein Mitarbeiter von World Vision Äthiopien fürchtet, dass das Tal die vielen Kinder auf Dauer nicht alle ernähren kann. Er erzählt, dass die Regierung versucht, die Menschen in andere Landesteile zu locken, in den Osten oder Südwesten. Sie verspricht Prämien und den Umzug zu zahlen und einen Ochsen zu stellen. Aber die meisten Menschen wollen bleiben. Man hat sie schon einmal fortgeholt.

1984 lag Äthiopien im Norden im Krieg mit Eritrea und den Rebellen im eigenen Land. Das damalige Regime des Mengistu Haile Mariam siedelte in diesen Jahren 600000 Bauern aus den Nordprovinzen unter Zwang auf Ländereien im Südwesten des Landes um. Im Hochland des Nordens gab es nach Meinung der Herrschenden zu viele Menschen und zu wenig, aber dafür ausgelaugten Acker, im Südwesten war es genau umgekehrt. Die Dürre diente als Druckmittel. Die Armee hielt Hilfsgüter nach Gutdünken zurück und nahm den Tod tausender Kinder in Kauf. Auf den Transporten nach Süden, die drei Wochen dauern konnten, sollen um die 100000 Menschen gestorben sein.

Der Parlamentsabgeordnete des Tals sagt, die Not sei damals absichtlich verschärft worden. Geld floss nur in die Armee und in die Städte. Bevor Hilfe aus dem Westen kam, gab es kaum Wasserleitungen, Straßen oder Brücken, keine Bewässerungssysteme für die Felder. Es fehlten Pumpen, Latrinen, Krankenhäuser, Schulen, Duschen, Elektrizität. Jeder lebte von der Hand in den Mund. Niemand wusste mehr, wie man die Felder wechselt, natürlich düngt, Zisternen baut oder die Ernte sicher vor Schimmel oder Schädlingen lagert. Jahrtausende altes bäuerliches Wissen schien wie ausgemerzt.

Nach der Katastrophenhilfe blieben die Leute von World Vision darum gleich da. Sie taten im Tal, was in Industrieländern der Staat tut oder einheimische Unternehmer tun. Sie investierten in Straßen, Meliorationsgräben, Anschlüsse, die das Quellwasser von den Berghängen in die fruchtbare Erde der Felder speisten. Sie ließen Wälle gegen die Bodenerosion bauen. Sie bezahlten von Spenden Millionen Bäume, Setzlinge und Samen, Hühner, Kälber, Lämmer, Ziegen, Ochsen. Sie schulten die Bauern in Ackerbau und die Frauen in Vorratshaltung. Sie bauten Kindergärten und zwei Gesundheitszentren, die inzwischen von der Regionalverwaltung betrieben werden. Es findet sich heute aber kein Arzt, der dort arbeiten will. Es gibt nur Schwestern und Pfleger. Sie können Infusionen legen und impfen, Malaria-Medikamente ausgeben und Aids-Tests machen. Aber ein entzündeter Blinddarm kann noch leicht tödlich enden. Bis zum nächsten Chirurgen in Dessie sind es achtzig Kilometer. Wenn man an der großen Straße wohnt, aber das tun viele nicht.

„Manche Sachen würden wir heute nicht mehr so machen wie in den Achtzigern“, sagt Marwin Meier von World Vision Deutschland. „Schulen bauen zum Beispiel. Denn jede Schule, die ein Staat nicht selbst baut, spart ihm Geld, das er dann für Panzer übrig hat.“ Vor der Dürre gab es vier Schulen für 60000 Einwohner. Jetzt gibt es 25.

Man kann sich fragen, ob all das zu bezahlen gut oder schlecht war. Aber vom Zweifel wäre nichts gewachsen und keiner satt geworden. Davon wäre die Kindersterblichkeit nicht gesunken und die Rate der HIV-Infektionen auch nicht. Jede Gesundheitsstatistik gibt der Enwicklungshilfe Recht. Keine sagt etwas darüber aus, was geworden wäre, wenn Länder wie Äthiopien sich hätten selbst helfen müssen.

In Addis Abeba haben 300 Hilfsorganisationen aus dem In- und Ausland eine Filiale. Es gibt nichts, worum sich niemand kümmert. Es gibt Hilfe für Aidskranke, Straßenkinder, gegen Hunger, ansteckende Krankheiten, nichtansteckende Krankheiten, Genitalverstümmelung, für Wasseraufbereitung, Impfkampagnen, Ackerbau, Viehzucht, Lagerhaltung, duale Lehrlingsausbildung, Verwaltungsstrukturen, Brunnen-, Straßen-, Brücken- und Behördenbau, Universitäten, Mikrokredite, Familienplanung, Investitionsbeihilfen, Schuldenerlass, Waisenkinder, Aufforstung. Unter anderem.

Die meisten Projekte im Antsokia-Tal laufen jetzt aus, die Leute kommen allein zurecht. Einige Projekte aber starten erst neu, und man fragt sich, warum. In dem Städtchen Majete bezahlt die Hilfsorganisation nicht nur ein Jugendhaus, weil sich die Gemeinde das wünscht. Sie baut auch eine Seidenraupenfarm auf. Das hat woanders in Äthiopien gut funktioniert, warum nicht auch hier, dachte man sich. Vierzehn Bauern haben sich anfangs für die Seide interessiert, nur drei sind nach einem Jahr dabei geblieben. Das Geld für die erste Lage Raupen und für die Christuspalmen, deren Blätter sie fressen, wurde von World Vision vorgeschossen. In einem Jahr sind fünfzehn Kilogramm Rohseide entstanden. Der einzige Abnehmer in Addis Abeba holt Ware aber erst ab sechzig Kilo ab. Darum werden World-Vision-Manager sie hinbringen. Sechzig Birr gibt das Kilo, 2,50 Euro. Man möchte damit den Tagelöhnern in der Landwirtschaft ein zweites Einkommen verschaffen. Es sieht nicht so aus, als ob das klappt. Aber es scheint nach den Jahren schwer zu sein, die Menschen ihren eigenen Ideen zu überlassen. Immer nimmt sie jemand bei der Hand.

Seit 1960 sind zwei Billionen Dollar Hilfe in die Länder Afrikas geflossen. Äthiopien wurden allein im Jahr 2008 insgesamt 807 Millionen zuteil. Die Bundesregierung hat für die Jahre 2012 bis 2014 neue 88 Millionen Euro zugesagt. International wurden dem Land Schulden in Höhe von 6,5 Milliarden Dollar erlassen. Trotzdem gilt es 2011 als eines der ärmsten Länder der Welt, genau wie schon 1984. Im Schnitt verdient ein Äthiopier 230 Euro im Jahr. Im Süden, Osten und hohen Norden des Landes hungern immer wieder Millionen. Täglich werden Tonnen von Nahrungsmittelhilfen in das Land geholt. Gleichzeitig pachten indische, arabische und chinesische Agrarkonzerne hunderttausende Hektar Ackerflächen im fruchtbaren Südwesten. Sie wollen mit großem Gerät Getreide, Baumwolle, Zuckerrohr, Ölpflanzen und Früchte anbauen – und die Ernten in ihre Heimat liefern.

Im Antsokia-Tal dagegen ackern die Bauern wie vor 2000 Jahren. Jeder hat eine Sichel, keiner einen Traktor. Ein Pflug ist hier noch ein selbst gebautes Etwas aus strammem Ästen und einem Stück Eisen, das hinter einen Ochsen gespannt wird und mit viel Körperkraft geführt werden muss. Das Teff, die Zwerghirse, aus dessen Korn sie ihr aller Leibgericht, den weichen Saugerteigfladen Injera backen, steht auf lauter winzigen Feldern, jedes kaum einen halben Hektar groß. Ihre Ziegen und Fettschwanzschafe, ihre zierlichen Rinder mit den dramatisch schönen Hörnern treiben sie täglich viele Kilometer zu Weidegründen und abends wieder zurück. Die Tiere sind so dürr, dass man ihre Rippen zählen kann. Nachts wird in den Wohnhütten geköhlert, ohne Schornstein. Alles hustet im Holzrauch.

Ist diese archaische Form von Landwirtschaft gewollt oder ist es hier anders noch gar nicht möglich? Die Manager der Hilfsorganisation, äthiopische Landwirte und Soziologen mit Blackberrys in der Hand, sagen, die meisten Bauern können tatsächlich nur ihre Familie ernähren, mehr nicht. Aber ein Traktor, zum Beispiel, braucht Diesel, und Diesel ist unbezahlbar, wenn man für eine Mango vier Cent bekommt. Auf eine Produktion in großem Stil ist nichts hier angelegt. Wichtiger finden sie, dass alles, was geschieht, erst einmal „nachhaltig“ ist: Wenn der Helfer geht, soll der Einheimische es ohne ihn schaffen. Man lehrt die Bauern darum auch, den Einsatz von Pestiziden und Kunstdünger zu vermeiden, weil das teuer ist und umweltschädlich.

Sobald sie helfen, projizieren die reichen Länder ihre Vorstellungen davon, was gut und richtig sein soll, auf die armen Länder. Vielleicht geht es nicht anders. In den 1960er Jahren setzte die Weltgemeinschaft in der Entwicklungshilfe auf „Entwicklung durch Wachstum“. 1969 erklärte man das für gescheitert. In den 1970er Jahren verfolgte man die „Grundbedürfnisstrategie“: Essen, Wasser, Kleidung, Gesundheit, Arbeit, Bildung – gäbe es davon genug, glaubte man, würden die Entwicklungsländer erblühen. So kam es nicht. Die 1980er Jahre gelten als „verlorenes Jahrzehnt“. Staatsstreiche und Weltwirtschaftskrisen ließen die Schulden wachsen und die Armut auch. Ab den Neunzigern begann man, von „nachhaltiger Entwicklung“ zu reden. Seit der Jahrtausendwende werden Stimmen afrikanischer Ökonomen laut, das Helfen am besten ganz sein zu lassen.

Wie erklärt man Nachhaltigkeit einem äthiopischen Bauern, der nicht mal lesen kann? Ute Diemer lacht. Man versucht es eben über Gesänge, Reime, Sketche und Tänze, wie sie in der Kultur ohnehin beliebt sind. Ute Diemer betreut Äthiopien für World Vision Deutschland. Sie sagt, das Leben der Bauern ist sehr auf das Hier und Jetzt ausgerichtet. Es geht noch immer ums Überleben. „Was morgen ist, interessiert zunächst mal nicht.“ Darum zeigt man bei Versammlungen einer Dorfgemeinschaft so etwas: Ein Mann spielt, dass er einen zweiten immer über die Furt eines Flusses trägt. Denn der andere glaubt, er schafft es alleine nicht. Eines Tages aber muss der Träger fortziehen. Und nun? Bleibt dem Zurückgelassenen nichts anderes übrig, als selbst zu lernen, den Fluss zu überqueren. Das klingt sehr einfach. Aber dahinter stecken offenbar komplexe Modelle.

Man muss Ökonom sein, Soziologe, Arzt, Finanzmathematiker oder Verwaltungswissenschaftler, um in der „Entwicklungszusammenarbeit“ noch durchzusteigen. Ute Diemer arbeitet allein seit drei Monaten an einem Fördermittelantrag, den sie bei der Europäischen Kommission einreichen wird. Um ihn fertig zu stellen, musste sie extra nach Addis Abeba fliegen. Es geht um zwei Millionen Euro von der EU, die für ein aufwändiges Projekt im armen Süden des Landes ausgeschrieben wurden. Diemer muss auf siebzig Seiten die Arbeit für Jahre im Voraus penibel beschreiben und kalkulieren. Sie redet von Implementieren, Baseline Surveys, erster Evaluierung und zweiter, von Monitoring, Redesign, Community Training, Micro Financing und Capacity Building. Die Gegend, um die es geht, ist zwei Tagesreisen von Addis Abeba entfernt. Die Stämme dort leben zum Teil nomadisch und sind Naturvölker; sie leiden ein- bis dreimal im Jahr Hunger. Für Wasser läuft man meilenweit. Straßen gibt es nicht, und grün ist es da auch nicht.

Die Beschreibung macht einen augenblicklich mutlos. Ja, sagt Ute Diemer, von dem, was im Antsokia-Tal zu sehen ist, können die dort nur träumen. „So gut sieht kaum eine ländliche Region in Äthiopien aus.“ Ein Tal, das wie ein Bild aus einer Kinderbibel anmutet, als Vorreiter für ein riesiges Agrarland.

Sie führen uns durch Majete, eine Kleinstadt aus Lehm und Wellblech mit 13000 Einwohnern. Eine Mutter empfängt die Weißen, sie hatte als Zehnjährige den Hun- ger überlebt und erzählt, wie. Aber man kann sie kaum hören. Denn überall sind Kinder, Kinder über Kinder, aus dem ganzen Ort kommen sie gerannt. Sie stecken in schmutzstarrenden Kleidern, die Füße in Plastikschuhen. Sie necken, betteln, charmieren aus klaren Augen und runden Gesichtern. Gesund sehen sie aus, froh. Ein paar Dutzend neue Menschenleben von jetzt sieben Milliarden auf der Erde. Vielleicht hätte es diese Kinder nie gegeben, wenn diesem Tal nicht geholfen worden wäre, egal von wem. Was soll daran falsch sein. Das kann nur richtig sein, nicht wahr.

Erscheinungsdatum
01.10.2011
Verlag
Frankfurter Allgemeine Zeitung


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