Beraten und verkauft

Haben Banken und Finanzvermittler aus der Krise gelernt? Dorit Kowitz machte in Berlin einen Selbstversuch: Was empfehlen Bankberater heute, wenn man 25 000 Euro anlegen will?

Geld loszuwerden ist gar nicht so einfach. Nicht, wenn mehr daraus werden soll. Egal, ob in der Bank oder beim freien Finanzvertreter, überall muss ich zuerst eine Psychoanalyse meiner materiellen Begierden durchlaufen, bevor jemand geneigt ist, auf meine Frage einzugehen: Was stelle ich mit 25 000 Euro an, damit sie Gewinn abwerfen? Stattdessen wollen die meine geheimen Wünsche wissen (Auto? Sofa? Reise?) oder die Namen meiner Kinder. Bitte?

Man muss dazu sagen, ich habe das Geld gar nicht. Ich schwindele die Berater an, um einen Zipfel Wahrheit zu erhaschen: Wie ticken die jetzt? In diesen Zeiten, in denen eine Bank der anderen nicht über den Weg traut, nach Lehmans Crash, den Desastern bei HSH-IKB-HRE. Sind sie geläutert?

Die Analyse meiner Gier ergibt überall das Gleiche: Meine Bereitschaft zum Risiko liegt in der goldenen Mitte zwischen Langeweile und Poker. Ich verkörpere einen “Anlage-Typ”, den die einen Banken “Chance” nennen, die anderen “Wachstum”. Wahrscheinlich präparieren die Berater das bei jeder arbeitenden Mittelschicht-Mittdreißiger-Mutti heraus.

Es leuchtet mir in der Dresdner Bank ein, warum es sie bald nicht mehr geben wird. “Senior Berater” Kati Saal*, um die 40, hört mir freundlich zu und stellt wenige Fragen, bevor sie flott den Prospekt eines aktiv gemanagten Aktienfonds herauszieht, der 2005 aufgelegt wurde. Darin sind Kurven, die alle im Dezember 2007 enden. Durchschnittsrendite 8,07 Prozent. Man muss Saal erst bitten, die Entwicklung des Jahres 2008 nachzureichen – die Kurven gehen ab Frühjahr 2008 bergab, im Herbst stürzen sie.

Im Prospekt steht, der Fonds enthalte neben Aktien, Cash und Rentenpapieren bis zu 40 Prozent “Spezialprodukte”. Das sind, erfahre ich erst auf Nachfrage, auch Zertifikate. In meinem Kopf dröhnt “Lehman-Alarm”. Frau Saal beschwichtigt. In ihrem naiven Ostberlin-Slang klingt die Erklärung für die “Spezialprodukte” so harmlos wie Sparbuch.

Geldverkäufer findet man in Berlins Mitte quasi an jeder Ecke, ob Deutsche Bank oder Dresdner, Commerzbank oder Citi-, Sparkasse oder Postbank, “Allgemeiner Wirtschaftsdienst” (AWD) oder “Deutsche Vermögensberatung” (DVAG) und wie sie alle heißen, die hier in Spuckweite von Kanzleramt und Ministerien sitzen, von Bundestag und Bundesrat, wo sie gerade mit Milliarden jonglieren, um Banken und Konzernen die Haut zu retten.

Im “Q 110”, Friedrichstraße, beste Lage, werde ich verwöhnt mit Kaffee und Wasser und Schoko- Riegeln. Und quasi zur Begrüßung bietet der blutjunge Berater André Knust schon was Exklusives an: einen neuen Fonds, zwei Jahre Laufzeit, erwartete vierkommairgendwas Prozent Rendite – mit Kapitalgarantie. Jetzt zeichnen! In wenigen Tagen sei der dicht.

Wie ihre Filiale “Q 110” stellt sich die Deutsche Bank die “Bank der Zukunft” vor, das heißt als riesenhaften Geld-Salon mit Souvenir- Shop und Lounge. Wenn es beim Kaltgetränk mit der Kundin heiß wird, geht man in Separees, deren Klarglastüren der Berater milchig zaubern kann, wenn es dahinter zur Sache geht: um Kontenstände, Schulden oder fette Gewinne. Großartig.

Knusts Versuch, mich charmant unter Druck zu setzen mit dem Garantie-Fonds, war nett, aber vergebens. Ich will ins Separee.

Ich lande nach seiner Einschätzung in Risikoklasse 2. Es gibt fünf. “Also keine Optionsscheine?”, frage ich. Mit Begräbnismiene antwortet Knust, er dürfe mir die nicht anbieten. “Das müssten Sie mir schon befehlen.” Er hat andere Ideen: 10 000 meiner Euro in einen Aktienfonds zu stecken, lauter “Blue Chip”- Werte, Dickschiffe der Weltwirtschaft. Die Rendite der vergangenen sechs Jahre lag bei 6,81 Prozent (ohne die Kosten, die “Ausgabeaufschlag” heißen und fünf Prozent meiner Anlagesumme betragen).

Weitere 7500 könnte ich in einen Immobilien-Dachfonds pumpen, den es eineinhalb Jahre gibt, der aber vier bis fünf Prozent bringen soll. Auf der Handreichung steht über die Risiken: “Die dynamische Wertsicherungsstrategie ist prozyklisch und kann bei stark volatilen Seitwärtsmärkten underperformen.” Alles klar. Als Drittes bietet mir Knust den Rentenfonds “UBS Medium Term Bond” an, darein die letzten 7500. Ich fühle mich gut aufgehoben.

Bis zum nächsten Morgen. 6.30 Uhr, Nachricht aus dem Radiowecker: Trotz des größten Verlustes ihrer Firmengeschichte, 19,7 Milliarden Franken, habe die Bank UBS Sondervergütungen über 2,2 Milliarden Franken an ihre Manager gezahlt. Die Politik ist empört. Ich nicht, ich lache. Weil ich sowieso nichts kaufen kann.

Als Agent provocateur laufe ich unter Legende. Meine Freundin G., eine Beraterin in Josef Ackermanns Reich, hat aus mir eine ihrer typischen Nerv-Kundinnen gestrickt: So eine hat zwar eine Vorsorge, kennt sich damit aber nicht aus. So eine versteht von Aktien wenig, will aber damit Geld verdienen. Die 25 000 Euro, flunkere ich, sind Steuerrückzahlung und Erbe.

Von der Sparkasse erwarte ich aus Erfahrung – nichts. Das ist ein Fehler, denn hier werde ich zur Liebe zur Aktie erzogen. Berater Jürgen Neunklug ignoriert konsequent meine Wünsche, dass ich mich nicht ums Geld kümmern und schnell rankönnen will. “Wenn Sie bei mir anlegen, gucken Sie auf die Kurse!” Neunklugs Empfehlungen sind heikel und fordernd. Er favorisiert Firmenanleihen, zum Beispiel von Daimler, fünf Jahre Laufzeit, Rendite 7,875 Prozent. Riskant sei das nur, sagt er, wenn ich glaubte, Daimler könnte pleitegehen. Für ihn ist das so wahrscheinlich wie die Existenz des Osterhasen.

Rang zwei seiner Hit-Liste: Aktien nicht in Fonds, sondern einzeln kaufen. Meine Augen weiten sich. Was? Gemanagte Fonds, sagt Neunklug, verursachten Kosten, enthielten oft faule Werte und brächten mäßig viel – anders als einzelne Aktien. Rang drei: Immobilien über Dachfonds. Rang vier: “Kombinationen über Zertifikate”. Na, prächtig.

Neunklug hat selbst vor über eineinhalb Jahren auf abschmierende Börsen gewettet und daran fein verdient. Erzählt er. Außerdem hat er, auf die lange Sicht, noch einen geschlossenen Immobilienfonds in petto, der den Bau eines Riesenbüro-Trumms in Luxemburg finanziert. Exklusiv! Schnell zeichnen, der sei in wenigen Tagen zu. Mein Geld wäre zwar zwölf Jahre lang weg, dafür die Rendite bis zu sechs Prozent hoch und steuerfrei, weil aus Vermietung. In einen Teil des Gebäudes zögen die Bürokraten der Europäischen Union, in einen weiteren ein Stahlmagnat. “Glauben Sie, dass der pleitegeht?”

Glauben? Ist die Bank Neunklugs Kirche, die Selbstheilungskraft des Marktes für ihn unfehlbar?

Hoch überm Alexanderplatz, im ehemaligen Haus des Lehrers, sitzt Rolf Bogenschütz vom AWD und will mir gleich “ein Haus bauen”. So nennen das die Vertreter, wenn sie eines Kunden Versicherungen, Anlagen, Immobiliendarlehen und Altersvorsorge “optimieren” wollen. Daraus folgen gern Vertragswechsel, Zusatzpolicen und Umschichtungen.

Bogenschütz fragt mich ab: Was, glaube ich, kosten Milch und Mehl und Butter heute und was kosteten sie vor einem Jahr? Natürlich antworte ich falsch. Natürlich folgt daraus: Die Inflation frisst ihre Kinder, und meine Altersvorsorge gehört aufgerüscht. Am Ende weiß Bogenschütz alles aus meinem erlogenen Leben, hat mich nervös gemacht wegen meiner Versicherungen (unzureichend), weigert sich aber, mir beim ersten Treffen zu sagen, was ich mit 25 000 Euro anstelle.

Bogenschütz nervt, Karsten Harmsen von der DVAG nicht. Der Ex-Sportlehrer sitzt über der FDP-Zentrale. Er fragt gut und spricht wahr: “Die Gier! Die Gier macht alles kaputt!” Er empfiehlt mir eine Anlage, die Sicherheit und Rendite verspricht: Ich zahle mein Geld auf ein Konto, das so gut zinst, wie es der Geldmarkt hergibt. Von dort wandern monatlich Beträge in einen Aktienfonds. In festen Abständen werden mir die Renditen gutgeschrieben, und zwar immer die Höchststände.

Laufzeit sieben Jahre. Der Preis allerdings ist hoch: fünf Prozent Ausgabeaufschlag, stolze 1,9 Prozent jährliche Kosten. Es ist ein Produkt der Deutschen Bank, auf das Herr Knust im Separee nicht hingewiesen hatte. Merkwürdig.

Bei meinem letzten Date, in der Commerzbank, redet Beraterin Claudia Becher mit mir zwar so behutsam, als wäre ich schreckhaft, aber sie bietet alles auf: Gemanagte Aktienfonds, Immobilienfonds, und das Büroding aus Luxemburg, EU und Stahl, begegnet mir auch wieder. Exklusiv! Versteht sich. Jetzt zeichnen! Nur noch drei Tage.

Eins fällt auf: Becher ruft an ihrem nagelneuen Flachbildschirm in ihrem nagelneuen Anlageprogramm immer als Erstes nagelneue Produkte auf. Ganz schematisch. Die modischen Fonds kosten keine Depotgebühren und mischen alles mit allem, Zertifikate mit Häusern, Gold mit Öl, Aktien mit Renten. Wenigstens sind die Risiken so formuliert, dass jeder sie versteht. Bei den Immobilien fällt es Becher aber offenbar schwer, nur das Neueste zu preisen. Sie zieht doch noch einen 37 Jahre alten Fonds aus der Schublade, mit exzellenten Werten und den Worten: “Den liebe ich über alles!” Da merke ich, die Angebote kommen nicht von Frau Becher, Frau Saat, Herrn Knust und wie immer sie heißen. Sie kommen von oben. Sie sind gesteuert von den Zentralen, bewehrt mit Ertragserwartungen, Druck, Provisionen.

Die Produkte sind “designt” für Unzählige, nicht auf mich zugeschnitten. Frau Becher sagt, damit ist sie die Sechste: Jetzt bei Aktien einzusteigen sei unschlagbar, bei den Preisen! Der Dax sei derzeit auf einem Tiefststand, tiefer ginge es kaum.

Im Radio am nächsten Morgen, 6.30 Uhr: Die Börsenkurse weltweit brechen ein, mal wieder, stürzen, verlieren, dramatisch. Und ich freue mich, nur einen Wimpernschlag lang, die 25 000 Euro gar nicht zu haben.
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*Die Namen der Berater sind geändert

FOTO: Michael Trippel

Erscheinungsdatum
28.05.2009
Verlag
Stern
Originalausgabe


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